Die überlange Dauer von Strafverfahren

In Strafverfahren in Österreich tritt immer wieder die Problematik der überlangen Verfahrensdauer zutage, die besonders im Fall der Untersuchungshaft ins Gewicht fällt. Aus Sicht der Strafverfolgungsbehörden nimmt die Wahrscheinlichkeit einer Verurteilung mit zunehemder Dauer eines Verfahrens tendenziell ab. Dies hat mehrere Gründe: Zum einen gehen mit Fortdauer der Zeit oft wichtige Beweise verloren. Das Erinnerungsvermögen von Zeugen nimmt naturgemäß ab, verfahrenswesentliche Dokumente können verloren gehen oder unterliegen nach einiger Zeit keiner Aufbewahrungspflicht mehr. Zudem kann sich die Dauer des eines Verfahrens bis in die materielle Verjährungsfrist erstrecken und eine Fortsetzung des Verfahrens ist deshalb mit dem Telos der Verjährungsregeln nicht in Einklang zu bringen.

Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs

Die Messlatte, ob ein Strafverfahren tatsächlich zu lange dauert, d.h. im Sinne des Artikel 6 der Menschenrechtskonvention das Recht des Beschuldigten auf ein faires Verfahren verletzt wird, wird vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR), gelegt.

Wiewohl immer auf den Einzelfall abzustellen ist, gelten Verfahren, die insgesamt länger als 7 Jahre dauern, meist als überlang. Bei der Prüfung, ob eine Verletzung des Art 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) vorliegt, werden einige wesentliche Kriterien berücksichtigt und herangezogen, so die Gesamtverfahrensdauer, das Verhalten der Behörden und des Beschwerdeführers (der Person, die sich in seinen Rechten verletzt fühlt), sowie die Bedeutung der Sache für den Beschwerdeführer.

Zur Sammlung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, insbesondere mit Bezug auf Österreich, verweisen wir auf die Datenbank des Österreichischen Instituts für Menschenrechte.

Bekannte Fälle in Österreich

Besonders in Wirtschaftsstrafsachen kommt es in Österreich immer wieder zu Fällen mit überlanger Verfahrensdauer. Beispiele dafür sind das Libro Verfahren mit 12-jähriger Verfahrensdauer, das Verfahren rund um die Kreditvergabe der BAWAG Bank an das amerikanische Brokerhaus REFCO mit einer Verfahrensdauer von über 15 Jahren oder auch das rekordverdächtige Gerichtsverfahren um den Investmentbanker Michael. B mit einer Gesamtverfahrensdauer von über 22 Jahren.

Derartig lange Verfahren stellen selbstverständlich eine Verletzung des Beschleunigungsgebots und damit des Rechtes auf ein faires Verfahren nach dem Gebot nach Art 6 der Europäischen Menschrechtskonvention dar. Dies soll, falls kein Freispruch erfolgt, zu einer angemessenen Berücksichtigung des Milderungsgrundes nach § 34 Abs 2 StGB führen und somit eine Reduktion der Strafe nach sich ziehen. Im Libro Verfahren, bespielweise, wurde die Strafe gegen den Hauptangeklagten von 3 ½ Jahren auf 1 Jahr bedingte Strafe reduziert.

Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshof soll es jedenfalls zu einer Berücksichtigung der überlangen Verfahrensdauer kommen, sofern der Beschuldigte das Verfahren nicht absichtlich verzögert oder der Fall besonders komplex ist. Die konkrete Auslegung der Rechtsprechung ist jedoch immer auf den Einzelfall bezogen. Den Gerichten steht daher stets ein Interpretationsspielraum zu.